Erfahrungen
eines Forstunternehmers
Wilhelm
Pröhl hat seine vierzigjährige Erfahrung als Forstunternehmer über das
Verhalten der Wildtiere gegenüber »normalen« Menschen und den Jägern für
sein neues Buch zusammengetragen.
Dabei konnte er erstaunliche Unterschiede feststellen zwischen
friedfertigen Spaziergängern, Waldarbeitern, Forstunternehmern usw. und
den Jägern. Während die Fluchtdistanz der Wildtiere bei Tierfreunden oft
nur wenige Meter beträgt, flieht das Wild panikartig, wenn sie nur Försters/Jägers
Auto (das sie genau kennen!) sehen oder hören. Dies alles und auch seine
beglückenden Erlebnisse mit Wildtieren hat Wilhelm Pröhl in seinem Buch
»Vierzig Jahre jagen ohne Jagdschein« beschrieben, das voraussichtlich
Ende 2005 erscheinen wird.
Aug in Aug mit Wildtieren - von Wilhelm Pröhl
Schon
als Kinder lebten wir in und mit der Natur, kannten uns in der hiesigen
Fauna und Flora bestens aus. Unter uns Jungen gab es den Ehrgeiz, wer
Tier- und Vogelstimmen am besten imitieren konnte. Für mich war klar,
dass ich auch im Berufsleben draußen in der Natur arbeiten wollte. So
wurde ich Forstunternehmer.
Vier Jahrzehnte lang gehörte der Fotoausrüstung genauso zu unserem
Handwerkszeug wie Seile, Ketten, Schraubenschlüssel oder die Motorsäge.
Für eine große deutsche Forstzeitschrift schreibe ich in unregelmäßigen
Abständen Beiträge über forsttechnische Ereignisse und Erlebnisse der
vergangenen 40 Jahre. So schrieb ich einen Beitrag über die Verständigung
zwischen Forstunternehmern und Jägern. Allerdings wusste ich nicht, dass
der Chefredakteur ebenfalls Jäger ist. Postwendend erhielt ich eine
e-mail, worin er schrieb: »Lieber Wilhelm, deinen Beitrag kann ich leider
nicht veröffentlichen, das die Fakten nicht stimmen! - Fakt ist...« Dann
zählte er auf, wer alles das Wild vergrämt - außer dem Jäger natürlich:
»...Spaziergänger, Reiter, Jogger, Fahrradfahrer, Pilze- und
Beerensammler, Hundehalter, Foto- und Filmfreunde - alle vertreiben sie
das Wild! - Man bekommt nichts mehr zu sehen. - Das Wild ist nur noch
nachtaktiv!«
Meine
Beobachtung ist, dass sie, die Jäger selbst es sind, die mit ihrer
Heimlichkeit und ihrem Geruch das Wild vertreiben. Ich habe mehrmals in
meiner 40-jährigen Tätigkeit im Wald die Erfahrung machen können, dass
Wildtiere ehrlichen Menschen gegenüber gar nicht so scheu sind, ja sogar
mitunter deren Nähe suchen, so als suchten sie Schutz und Geborgenheit
vor Jägern und Treibjagden.
Von zwei solchen Wildtierbegegnungen, die mich selbst sehr erstaunten und
beglückten, möchte ich hier berichten:
Im
Blaumann durch den Wald
Als
wir unser Auto am Wildacker abstellten, begann es gerade Tag zu werden.
Wir kamen in der auffälligsten Farbe, die es im Wald überhaupt geben
kann - im »Blaumann«. Doch ob auffälliger Blaumann oder unauffälliger
Tarnanzug: Wildtiere bewerten mit ihren sensiblen Sinnesorganen den »Inhalt«
- ob Freund oder Feind.
Start
der beiden Forstmaschinen. Laut dröhnen die Turbomotoren durch die Wälder.
Nach etwa fünfzig Meter Fahrt mit dem Forwarder wechselt eine Rotte
Wildsauen von rechts nach links über die Waldschneise, bleibt nach zehn
Metern in der Lichten Douglasienschonung stehen. Obwohl mit zwei Maschinen
ständig ein weithin hörbarer Lärm entstand, hielt sich diese Rotte bis
gegen Mittag in unserer Nähe in der durchsichtigen Schonung auf. Mir kam
es vor, als wüssten die intelligenten Tiere, dass ihnen keine Gefahr
droht.
Die
intelligenten Tiere wissen offenbar, von wem ihnen Gefahr droht...
Alttier
»Pauline« besucht mich mit ihrer Familie
Obwohl
es schon Juni war, gab es wochenlang nasskaltes Wetter. Es war trübe und
die Sonne ließ sich nicht blicken. Dann plötzlich, als wir morgens gen
Ostern zur Arbeit fuhren, strahle die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Die
aufgehende Sonne verbreitete rasch Licht und Wärme, und aus Wiesen und Wäldern
stiegen Dunstschleier auf, denn alles war mit Nässe und Tau überzogen.
Am
Vormittag hatte die warme Sonne alle Feuchtigkeit aufgesaugt und die Luft
war strahlend klar. Wir rückten mit zwei Forwardern in einen lichten
Kiefernbestand und rückten tags zuvor aufgearbeitetes Kiefern und
Douglasien-Industrieholz. Die beiden 100 PS-Turbodiesel der Forstmaschinen
dröhnten weithin hörbar durch die morgendlichen Wälder, als mir plötzlich
ein Rudel Rotwild einen Besuch abstattete. Es war ein Familienclan, der
aus einem ergrauten Alttier und neun weiteren Familienmitgliedern, aus Töchtern,
Enkelsöhnen und -Töchtern, bis hin zu den diesjährigen Kälbern, den
Ur-Urenkeln bestand.
Das
graue Alttier, ich schätzte ihr Alttier auf etwa elf bis zwölf Jahre, führte
ihre Familie ganz ruhig und souverän in meine Nähe. Ich unterbrach meine
Arbeit nicht, wunderte mich jedoch über dieses arglose Verhalten der
Wildtiere. Mag das Rudel in der Nähe gestanden haben, als wir morgens die
Maschinen starteten und ein Höllenlärm den Wald erfüllte? Oder hatten
sie ihren Einstand mehrere Kilometer entfernt und wollten einfach aus
Neugierde mal schauen, wer denn da so früh einen solchen Lärm macht?
Jedenfalls zeigte das Rotwildrudel keinerlei Scheu. Die Tiere kamen ganz
ruhig bis auf etwa zwanzig Meter an meine Maschine heran. Sie blieben
stehen und fraßen hier und da an den Blaubeerensträuchern, die jetzt
schon reife Früchte trugen.
Zwei
diesjährige Kälber tobten mit der Lebensfreude aller Jungtiere im Radius
von zwanzig Metern um meine Maschine herum. Ein zweijähriger Spießer schälte
in der Nachbarschneise mir gegenüber die saftige Rinde einer Douglasie
und verschlang sie genüsslich. Dabei sah er mich mit einem unerhört
frechen Grinsen an, als wollte er sagen: »Moin, moin, mein Freund -
herrlicher Tag heute, nicht wahr?« - Irgendwie löste diese Begegnung in
mir ein Gefühl des Glücks aus: Ein Rotwildrudel hört in der Ferne
walduntypische laute Geräusche. Doch anstatt in wilder Panik zu fliehen,
begibt es sich dorthin, in unmittelbare Nähe, um nach dem Grund des Lärms
zu schauen. Die alte Hirschkuh, die so ruhig ihren Clan an meine Seite führte,
wird geahnt haben, dass ihrer Familie hier keine Gefahr drohte. Ich überlegte
mir einen Namen: Pauline könnte zu ihr passen, weil sie eine weise Großmutter
ist, die es stets verstanden hat, Gefahren richtig einzuschätzen und die
wusste, was gut und was falsch für ihre Familie ist.
Nach
zehn Minuten zog Pauline langsam weiter und die Tiere, die sich um meine
Maschine gesammelt hatten, schlossen sich dem sich entfernenden Rudel
wieder an. Im Weggehen schaute der freche Spießer noch mal zurück und es
war mir, als sende er einen Gruß herüber.
Quelle: www.abschaffung-der-jagd.de
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