Das
Märchen von der Ökojagd
Ist „Wald
vor Wild“ ökologisch?
In Zusammenhang mit Bestrebungen der Landesregierung ein neues Jagdgesetz
im Saarland zu verabschieden streitet sich aktuell die saarländische Jägerschaft,
welcher Jagdverband das bessere Konzept haben soll. Undiskutiert bleibt
die Frage, ob diese Jagd unserer Natur tatsächlich dient. Tierschützer
und teilweise auch Naturschützer fordern immer wieder ein Jagdverbot.
„Raubtier“ Mensch?
Jäger geben gerne vor, sie müssten die Rolle der Raubtiere übernehmen.
Dabei ist umstritten, ob Raubtiere (Beutegreifer) die Populationsdichte
ihrer Beutetiere wesentlich beeinflussen. Fest steht, dass die Räuberdichte
vom Beutetiervorkommen abhängt und eben nicht umgekehrt. Raubtiere
leisten ihren Beitrag vorrangig hinsichtlich Selektion der schwachen und
kranken oder unaufmerksamen Beutetiere und verbessern damit deren
genetische Substanz. Wonach selektiert aber ein menschlicher Jäger? Tatsächlich
kann er überhaupt nur eingeschränkt selektieren, denn die Gesetze
verhindern dies teil- und zeitweise, wie z.B. durch Schonzeiten. Vom
Hochsitz aus oder bei einer Treibjagd kommt es zudem niemals zum Kräftemessen
wie bei Wildtieren. Der Jäger mit Hochleistungsoptik und komplizierten Präzisionswaffen
bekommt fast Alles vor die Flinte. Und meistens schießt er es auch. Nicht
unbedingt jedes einzelne Tier, aber alle Kategorien: mal ein krankes Tier,
überwiegend aber kerngesunde Tiere und gelegentlich sogar kapitale
Hirsche, Rehböcke oder Keiler. Wonach soll ein bewaffneter Jäger ohne
Raubtierinstinkt auch selektieren? In der Evolution ist der Mensch längst
nicht mehr als Jäger vorgesehen. Und durch ein Fernglas sind die
Evolutionskriterien des Wildes nicht erkennbar. Der Zufall entscheidet.
Eine Selektion nach den Gesetzen der Natur spielt sich im Verborgenen ohne
Jäger ab.
Muss der Mensch jagen?
Wer die angebliche Notwendigkeit der Jagd als Raubtierersatz hinterfragt,
gelangt schnell zu Widersprüchen. Es ist doch wohl kaum eine
Notwendigkeit, welche Jagdurlauber regelmäßig ins Ausland zieht, um dort
auf Großtiere (sogar Raubtiere) zu jagen? Worin liegt die Notwendigkeit
bei der Jagd auf sogenanntes Niederwild wie Schnepfe oder Rebhuhn, welches
Großraubtieren überhaupt nicht zum Opfer fallen würde? Warum wird das
einheimische Raubtier Fuchs bekämpft, wenn man dies bei Großraubtieren
als Fehler der menschlichen Vergangenheit einsieht? Und warum beruft sich
die Jagd vorrangig auf ein Grundrecht, das mit wildbiologischen Aspekten
überhaupt nichts zu tun hat („Eigentumsrecht“)? Unter Berücksichtigung,
dass der Mensch nicht nach den Gesetzen der Natur selektieren kann, muss
man wohl eingestehen, dass wildbiologische oder ökologische Argumente für
die heutige Jagd nicht vorrangig sein können. Das ist auch bei angeblich
„ökologischen“ Jagdverbänden nicht anders. Das Attribut „ökologisch“
soll zwar suggerieren, dass eine an der Umwelt und an Naturgesetzen
orientierte Jagd erfolgt. Eine tatsächlich ökologische Jagd im Sinn der
Wortbedeutung müsste allerdings den natürlichen Prozessen immer Vorrang
geben. Sie müsste dann das Ziel haben sich letzten Endes selbst
irgendwann überflüssig zu machen.
Dieses Ziel hat zweifelsfrei kein Jagdverband, denn alle verstehen sich
ausdrücklich vorrangig als Jagd-Verband, und ihre Mitglieder sich
vorrangig als Jäger und nicht als Tier-, Natur- oder Umweltschützer.
„Wald vor Wild“?
Im Namen der „ökologischen“ Jagd wird von Forstleuten gerne das Motto
„Wald vor Wild“ propagiert, was eine radikale Jagd auf Reh und Hirsch
bedeutet. Motiv sind mögliche Fraßschäden durch Wild an Forstpflanzen,
vorwiegend am natürlichen Nachwuchs junger Bäumchen. Das Wild soll möglichst
keinen Einfluss auf die vorkommenden Baumarten haben. Die Logik: Wenn der
Faktor Wild ausgeschlossen ist, kann der Wald ganz „natürlich“
wachsen. Mit dem radikalen Motto grenzen sich die „Ökojäger“ (häufig
Forstleute) bewusst von den konservativen Jägern ab, die gegensätzlich
oft ohne Rücksicht auf die Waldsituation vorrangig um die „Hege“
hoher Wildbestände bemüht sind. „Wald vor Wild“ definiert die
ausschließliche Priorität des Waldes. Das Motto ist tatsächlich wörtlich
und ernst gemeint. Aus ökonomischer Sicht eines Waldeigentümers ist es
nachvollziehbar. Ökologisch ist eine solch einseitige Perspektive
allerdings zweifelsfrei genauso wenig wie das Gegenteil, eine zuchtartige
Wildbewirtschaftung im Gehege Wald. Das sogenannte Schalenwild ist
Bestandteil unseres Ökosystems. Wenn Wechselbeziehungen zur Vegetation
einfach unterbunden werden, indem der Faktor Wild ausgeschaltet werden
soll, kann von einer Lehre über diese Beziehungen (=Ökologie) wohl keine
Rede mehr sein. Das Motto „Wald vor Wild“ erscheint demnach nicht ökologisch
im Wortsinn. Ziel einer „ökologischen“ Jagd darf nicht sein, den
vorhandenen Lebensraum für bestimmte Tierarten zu sperren. Ziel müsste
vielmehr sein, ein Gleichgewicht zu fördern, das der jagende Mensch
aufgrund eigener Befangenheit nicht herstellen kann. Denn alle Jäger
jagen ausnahmslos einfach zu gerne selbst.
Wald ohne Jagd
Dass ein Wald ohne Jagd auskommen kann, zeigen verschiedene Nationalparks,
z.B. der italienische Nationalpark Gran Paradiso, wo seit 1922 nicht
gejagt wird. Handfeste ökologische Gründe, weshalb in deutschen
Nationalparks kein generelles Jagdverbot besteht, gibt es nicht. Die Jägerschaft
konnte sich bisher jagdpolitisch durchsetzen, wie es sich auch aktuell in
einigen Punkten der saarländischen Jagdgesetznovellierung abzeichnet.
Solange sich die Jägerlobby jagdpolitisch sogar überwiegend in
Nationalparks durchsetzen kann, können Tier- oder Naturschützer mit
ihrer Forderung nach einer generellen Abschaffung der Jagd nur ins Leere
laufen. Dabei wären Erkenntnisse aus verschiedenen einheimischen
Nationalparks über mehrere Wildtiergenerationen hinweg eine wichtige
Diskussionsgrundlage. Die These der Notwendigkeit der Jagd ist in
Wirklichkeit nämlich bloß ein von Jagdscheininhabern aufgestelltes
Postulat (Behauptung). Wir haben keine Erfahrungen darüber, wie sich
Deutschland über mehrere Waldgenerationen (Jahrhunderte) ohne Jagd
entwickeln würde. Die fachliche Kompetenz für Szenarien wird bisher
ausschließlich jagdlich befangenen Jagd- und Forstleuten zuerkannt.
Prognose:
Es ist durchaus zu erwarten, dass sich ohne den jagenden Einfluss des
Menschen ein ökologisches Gleichgewicht einstellen kann. Der Verfasser
erlaubt sich die Prognose, dass ein Wald ohne die heutige Jagd langfristig
kein schlechterer Wald, dafür aber ein natürlicherer Wald wäre. Damit dürfte
die Forderung für Nationalparks eindeutig sein. In den übrigen Gebieten
dürfte sich die Jagd allmählich zu einer extensiven hoheitlichen Aufgabe
mit einem neuen Berufsbild entwickeln, das Ähnlichkeiten mit dem heutigen
Berufsbild des Berufsjägers im öffentlichen Dienst aufweist. Natürliche
Abläufe müssen dabei Vorrang vor Freizeitinteressen haben. Die
Freizeit-Tiertötung durch Laien wird unsere Gesellschaft immer weniger
mit tragen. Die rechtliche Diskussion, wonach die Lizenz zum Töten von
Wildtieren im Rahmen einer Freizeitbeschäftigung (Jagd)
Grundrechtscharakter haben soll, wird auf Dauer einer
verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht Stand halten können. Veränderungen
werden aber voraussichtlich noch mehrere Jahrzehnte benötigen. Eine
ehrliche Diskussion wird erst stattfinden, wenn sich die Jagdpolitik ihrer
bisherigen Befangenheit entziehen kann und die Bereitschaft entwickelt natürlichen
Prozessen Vorrang vor jägerischem Vergnügen einzuräumen.
Mario Natale
Dipl.-Ing.(Forstwirtschaft)
Dipl.-Verwaltungswirt(FH)
Kommunaler Revierförster
66740 Saarlouis
Saarlouis, 04. August 2011
Top |