swr.de vom 08.04.2010
Waidmanns
Unheil
300.000 Hobbyjäger gibt es in Deutschland. Die kontrollieren den
Wildbestand in unseren Wäldern und auf unseren Feldern. Aber: auch ein
paar Tausend gut ausgebildete Berufsjäger gibt es in Deutschland. Die
arbeiten zum Beispiel als Angestellte für einen begüterten Jagdherren.
Und müssen ihm das Revier so herrichten, wie es dem Jagdherren gefällt.
Der Berufsjäger Michael H. stand in so einem Arbeitsverhältnis.
Allerdings nicht sehr lange. Dann ist er ausgestiegen. Weil das, was er in
diesem Revier tun musste, so gar nicht zu dem passte, was er gelernt
hatte. Uns hat er davon erzählt. Und davon, wie es nach seinen
Erfahrungen insgesamt in Deutschland um die Jagd bestellt ist.
Wir treffen Michael H. auf seinem Hof im Bayerischen Wald. Seit drei
Jahren ist er Bauer und kümmert sich auf seinem Hof um die Tiere. Die
Jagdflinte hat der ehemalige Berufsjäger nach schweren Enttäuschungen an
den Nagel gehängt. Dabei hatte er so idealistische Vorstellungen gehabt,
wollte als guter Jäger in seinem Revier wirklich etwas bewegen. Wollte,
wie er sagt, Jagdexzesse unterbinden und ein Beispiel geben, wie man ökologisch
korrekt mit dem Biotop Wald umgeht. Und mit dem Töten: „Der Tötungspunkt,
der einen Schlusspunkt in der Jagd darstellt, war für mich immer nur eine
Ernte und absolutes Ziel. Und das muss ich anständig tun.“
Ökologe spielt keine Rolle
Mit Anstand hat die Jagd in Deutschland nach Michael H.'s Erfahrung nicht
mehr viel zu tun. Wer viel Geld für eine Pacht ausgibt, der möchte auch
Spaß haben. Ökologische Gesichtspunkte, der Wald als gesundes Biotop -
das spiele häufig keine Rolle: „Es ist sehr sehr schwer, einen verständnisvollen
Jagdherren zu finden, der auch die Ökologie, so, wie die Jagd ausgeübt
werden soll, haben möchte. Man stellt das in der Jägerausbildung
gelernte stolz zur Schau und merkt dann, dass überhaupt kein Wert darauf
gelegt wird. Sondern dass der Berufsjäger in erster Linie als Aushängeschild
gilt. Und dann herrichten muss, was der Jagdherr möchte.“
Viele Fasane zum Abschuss im Revier: das wollte der Jagdherr von dem
ehemaligen Jäger. Und Hasen. Und er duldete keine Konkurrenz bei seinem
Sport. Marder oder Itis, die junge Hasen erbeuten, musste Michael H. in
Fallen fangen und erschießen. Und eines Tages passierte dabei etwas, das
sein Leben änderte. Zum ersten Mal saß ein Waschbär in der Falle.
Bereit für die Exekution.
Einschneidendes Erlebnis
Michael H. ist noch heute sichtlich berührt davon, dass der
„Fangschuss“ damals daneben ging: „Ich hab das erste Mal ein Tier
mit diesem sonst sicheren Schuss nicht sofort tödlich erwischt. Ich hab
das sehr schnell gemerkt, da der Waschbär mich ansah und zitterte. Und
ich erkannte, dass sein linkes Auge getroffen war von dem Geschoss. Direkt
ins Auge. Und es lief Blut heraus, dunkles Blut, der Waschbär zitterte.
Und das andere Auge strahlte mich an. Ich hab die Waffe nachgeladen, hab
ein zweites Mal geschossen - hab auch Gott sei Dank in die Stirn
getroffen. Der Waschbär brach zusammen. Ich hab die Waffe fallen
gelassen, ich konnte sie nicht mehr halten. Ich lief weg und hab geweint
wie ein kleines Kind.“
Illegale Giftköder
Um gegen unliebsame Konkurrenten wie Katzen vorzugehen, gibt es allerdings
noch grausamere Methoden als die Jagd mit der Falle. Methoden, die auch
nach dem Jagdrecht strengstens verboten sind. Und trotzdem angewendet
werden, sagt der ehemalige Jäger: „Man bekommt es oft sogar angewiesen
und die Hilfsmittel schon bereitgestellt: Um zum Beispiel Gifteier –
oder Giftköder generell – auszulegen. Und dann später sind die
Zeitungen voll von Berichten über Greifvögel, die angeblich an
Pflanzenschutzmitteln gestorben sind. Auch Katzen und Hunde werden so
vergiftet. Weil ja auch die Katze, die man antrifft im Revier, die vor
einem Mauseloch sitzt, eventuell ein Fasanenküken packen könnte. Und das
fehlt im Herbst bei der Treibjagd.“
Waldrand als Pufferzone
Hinter seinem Hof hat Michael H. jetzt selbst einen Hektar Wald. In dem
sich Tiere wohlfühlen sollen – und nicht Jäger. Und das fängt für
ihn schon am Waldrand an. Denn zu häufig finde man den schlechten
Waldrand, der aussehe wie eine abgeschnittene Kante - wo die Wiese aufhört
fange gleich der Fichtenast an. Kein Busch stört die freie Schussbahn für
den Jäger.
Ein natürlicher Waldrand sieht für Michael H. anders aus: „Wir haben
jetzt hier eine Pufferzone wie sie sein soll. Es ist hier eine
Nahrungspflanze da, die dem Rehwild schon mal eine Deckung gibt, in der es
sich ungestört aufhalten kann und in der es die Knospen aufnehmen kann.
Hier übernimmt das Wild, und zum Teil auch unsere Schafe, einfach die
Funktion einer Heckenschere. Durch den Verbiss halten sie den Saum zurück,
halten ihn klein. Der funktioniert als intakter Waldrand für das Wild und
für ein gesundes Klima im Wald.“
Und Menschen kommen durch das Gestrüpp gar nicht so leicht in den Wald. Können
nicht hineinschauen. Ein Ort, an dem Wildtiere sich sicher fühlen können.
Michael H. genießt es, durch diesen Wald zu gehen. Er kann er sich gar
nicht mehr vorstellen, dem Wild aufzulauern. Und der Gedanke an die
300.000 Hobbyjäger in Deutschland bereitet ihm Kopfzerbrechen: „Der
Verlust der Ethik auf der gesamten jagdlichen Breite, der die Jagd immer
mehr zum Lebendzielscheibensport verkommen lässt, das ist nämlich
Dreh-und Angelpunkt der Frage, ob man die Jagd weiterhin in der Form
dulden kann oder nicht.“
Jagd ohne Anstand
Grausame Dinge geschehen im Wald, sagt der ehemalige Jäger. Dinge, die
von Jägern in der Regel geheim gehalten werden: „In diesem unüberwachten
Bereich ist vieles möglich. Und es ist mit dem Satz "Wald vor
Wild" schon so weit gekommen, dass man auf Rehwild aus allen Lagen
schießt. Ob man´s hinten trifft oder vorne oder quer durchschießt: ganz
schlimme Sachen. Hauptsache es liegt da und ist tot.“
Gemeinsam mit seiner Frau hat sich Michael H. den Traum von einem
friedlichen Zusammenleben mit Tieren erfüllt. Der Großteil ihrer 30 Hühner
beispielsweise stammt aus einer Legebatterie, wo sie nicht mehr die
geforderte Leistung brachten. Michael H. hat ihnen sozusagen Asyl gewährt.
Kein Wunder, dass dem Tierfreund die Geschichte mit dem Waschbären noch
lange nachgegangen ist: „Es war sogar so, dass ich nachts geschwitzt
habe und die Szene im Traum erlebt habe. Das hat sich erst später
eingerenkt, als ich aus diesem Kreis ausgebrochen bin.“
Als Biobauer erlebt der Ex-Jäger Michael H., wie schön es ist, etwas für
die Tiere zu tun - und nicht gegen sie.
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